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65 - nicht etwa Christophers Alter, sondern unsere Startnummer in der Parade

65 – nicht etwa Christophers Alter, sondern unsere Startnummer in der Parade

Kommenden Samstag ist es so weit: Wir laufen das erste Mal auf dem CSD in München mit! Ein paar von uns sind da zwar schon alte Hasen, aber nicht alle. Also ein gewisser Anteil an Nervosität ist dabei.

Aber wir sind ja nicht allein, denn wir laufen zusammen mit den Queer-Referaten von LMU, TU und Hochschule München in einem Block. Unsere Startnummer ist die 65. Dieses Jahr laufen 76 Gruppen mit (ein Rekord für München) – also wenn Ihr uns seht, wisst Ihr, das Ende ist nah.

Die Pride Week wurde gestern mit dem lesbischen Angertorstraßenfest der LeTRa eröffnet. Alle Veranstaltungen des CSD Wochenendes und der Pride Week, die sich v.a. um das diesjährige Motto „Familie ist, was wir draus machen“ drehen, findet Ihr hier im Pride Guide.

 

Münchner Stolperstein-Kompromiss benachteiligt homosexuelle Opfer

Beispiel eines Stolpersteins (Quelle: wikipedia)

Beispiel eines Stolpersteins (Quelle: wikipedia)

In welcher Form den Opfern des NS-Regimes in München gedacht werden kann, wurde in den letzten Monaten heftig diskutiert. Konkret ging es darum, ob auf öffentlichem Boden sogenannte „Stolpersteine“ verlegt werden dürfen. Am 27. April 2015 kam der Münchner Stadtrat zu einem Kompromiss (hier der Bericht auf sueddeutsche.de), der zwar die Wünsche der Befürworter und die Bedenken der Gegner unter einen Hut zu bringen versucht, in seiner Umsetzung aber die homosexuellen Opfer benachteiligen wird. Denn dezentrales Gedenken am letzten bekannten Wohnort der Opfer soll es nur auf ausdrücklichen Antrag von Angehörigen geben. Da Homosexuelle häufig keine eigenen Familien gründeten, gibt es bei dieser Opfergruppe meist keine Angehörigen mehr. Ein Gedenken am Wohnort entfällt, selbst wenn sich Mitglieder aus der Community für ein solches einsetzen sollten.

Bei den „Stolpersteinen“ handelt es sich um Pflastersteine, auf denen in Messing vor allem der Name des Opfers und kurze biografische Daten  vermerkt sind. Diese Steine werden vor dem letzten bekannten Wohnort des Opfers am Boden verlegt. Ziel dessen ist vor allem, das Gedenken zu personalisieren und an einen Ort zu bringen, der mit der jeweiligen Person in engem Zusammenhang steht. Die Gegner dieser Gedenkform stören sich an der Anbringung am Boden, da so auf den Denkmälern unweigerlich herumgetrampelt würde und sie verschmutzt würden. Der Münchner Stadtrat hat sich in den letzten Jahren im Wesentlichen an dieser Position orientiert und eine Verlegung auf öffentlichem Boden verboten. Es ist lediglich erlaubt, sie auf Privatgrund zu verlegen, was aber aufgrund Platzmangels vor Ort oder weil sich die Hauseigentümer dagegen wehren, meist nicht möglich ist.

Im Dezember 2014 wurde die Diskussion mit einer Anhörung beider Seiten neu angestoßen (die QUEERTREIBER berichteten), auf der sich der damals neu gewählte Stadtrat über die jeweiligen Positionen informieren konnte. Der am Montag von der Rathaus-Koalition aus SPD und CSU geschlossene Kompromiss sieht unter anderem folgende Punkte vor:

1. Stolpersteine auf öffentlichem Grund bleiben weiterhin verboten. Man nimmt damit Rücksicht auf die Sichtweise, eine Gedenkform am Boden würde die Opfer zusetzlich entehren.
2. Eine dezentrale Gedenkform an die Opfer soll dennoch möglich sein durch Erinnerungstafeln an den Wänden ihrer letzten Wohnhäuser. Falls sich die Hauseigentümer dagegen wehren, wird die Stadt auf öffentlichem Grund vor dem Haus eine Gedenkstele aufstellen.
3.  Dies wird jedoch nur dann geschehen, wenn es von Angehörigen bantragt wird.

So nachvollziehbar es natürlich ist, auf die Gefühle von Angehörigen Rücksicht zu nehmen, werden damit in der Praxis  alle Opfer benachteiligt, die keine lebenden Angehörigen mehr haben. Dies trifft besonders auf homosexuelle Verfolgte zu, weil diese meist keine eigenen Familien gründeten. Es ist noch nichts darüber zu lesen, wie die Stadt in diesen Fällen vorgehen will. Denn selbst wenn es keine Angehörige im Sinne von Blutsverwandtschaft gibt, gab es bisher viele Angehörige aus der jeweiligen Opfergruppe, die sich für Stolpersteine engagierten. So sammelt beispielsweise das forum homosexualität münchen die Namen von Münchner Opfern und unterstützt Freiwillige, die sich für Stolpersteine einsetzen, indem sie nach biografischen Daten recherchieren oder Geld spenden. So gibt es schon mehrere Stolpersteine für homosexuelle Opfer, die jedoch aufgrund der derzeitigen Lage so wie viele andere Stolpersteine nicht verlegt werden können.

Als Wortführerin tritt vor allem Charlotte Knobloch auf, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und selbst KZ-Überlebende. Doch sie spricht nicht für alle Opfergruppen und auch nicht für die jüdische also solche. So setzt sich beispielsweise Terry Swartzberg, Mitglied der liberalen jüdischen Gemeinde Münchens Beth Shalom, für die Initiative „Stolpersteine für München“ ein. In einem Interview mit der Welt kritisiert er, dass die Stadt beide Seiten nicht gleichberechtigt behandele, und kündigt an, weiter dafür zu kämpfen, dass in München Stolpersteine auch auf öffentlichem Grund verlegt werden können. Eine Übersicht über die Steine für München bietet die Initiative Stolpersteine für München e.V. auf ihren Seiten.

Vielfalt statt Einfalt in München vorgestellt

Die Redner auf der ersten Veranstaltung von Vielfalt statt Einfalt in München am 17. März 2015.

Die Redner auf der ersten Veranstaltung von Vielfalt statt Einfalt in München am 17. März 2015.

Vor kurzem gründete sich eine Münchener Gruppe des Akionsbündnisses Vielfalt statt Einfalt. Am 17. März 2015 stellte sie sich in den Räumen der Münchner Aids-Hilfe der Öffentlichkeit vor und berichtete gut 30 Zuhörer*innen von ihren Forderungen und von ihrer ersten geplanten Kundgebung, die am 28. März 2015 in München stattfinden wird. Genauer Ort und Zeit werden noch bekannt gegeben.

Im Publikum saßen wohl zum größten Teil solche, die mit dem Bündnis bereits assoziiert waren. Allerdings sind in der kurzen Zeit seit dem ersten Arbeitstreffen zu den ursprünglichen 13 Organisationen 16 weitere zivilgesellschaftliche hinzugekommen und fünf parteiliche – sowohl Parteiorganisationen als auch einzelne Abgeordnete aus Stadtrat, Landtag und Bundestag. Der aktuelle Anlass auch in München einen Zweig des Bündnisses zu gründen, sind zwar die in Bayern geplanten Aktivitäten der reaktionären „Besorgten Eltern„, dennoch hat es sich Vielfalt statt Einfalt vorgenommen, über bloße Reaktion hinaus eigene Initiativen zu entwickeln und sich langjährig für Gleichberechtigung und Vielfalt zu engagieren. Grundlegendes Thema ist dabei eine Reform der „Familien- und Sexualerziehung“ in den bayerischen Bildungsplänen.

Das Bündnis formuliert auch für Bayern folgende Forderungen:

– Neben der Ehe sollen auch andere Familien- und Partnerschaftsformen als gleichwertig thematisiert werden – ebenso wie Diversity fächerübergreifend im Unterrichtsmaterial Darstellung finden muss. In den meisten Klassen sitzen Schüler*innen, deren familiärer Hintergrund auf die eine oder andere Art nicht der „Hausfrauenehe“ entspricht. Zwar existiert diese rechtlich als solche nicht mehr, doch sind die bayerischen Bildungspläne von ihren Rollenbildern als der Norm noch massiv geprägt. Kinder mit anderem Hintergrund werden somit quasi als nicht vorgesehen ausgegrenzt.

– Homosexualität soll als gleichwertige Orientierung besprochen werden und nicht als problematischer Sonderfall.

– Geschlechtliche Vielfalt muss ebenso Thema und vor allem auch Teil der pädagogischen Ausbildung werden. Lehrkräfte müssen in der Lage sein, sich um Schüler*innen angemessen zu kümmern, die sich ihnen gegenüber beispielsweise als transident anvertrauen.

– Empowerment: Kinder und Jugendliche, die feststellen, dass sie LGBT*IQ sind und sich outen möchten, müssen von ihren Schulen Rückendeckung erfahren. Geoutete Schüler*innen, die souverän und positiv mit ihrer Orientierung und Identität umgehen, beeinflussen die Einstellung ihrer Mitschüler*innen gegenüber LGBT*IQ am meisten nachhaltig positiv. Schulen müssen diesen Prozess unterstützen.

– Durch eine Evaluation des Themas auf Landesebene soll eine systematische und belastbare Datengrundlage geschaffen werden.

– In den Schulen müssen kompetente Ansprechpartner*innen zur Verfügung stehen, wenn sich Schüler*innen als LGBT*IQ outen und sich deswegen beispielsweise Mobbing oder Problemen im Elternhaus ausgesetzt sehen.

Um diese Forderungen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene voranzubringen, werden nach wie vor Unterstützer*innen gesucht, die Initiativen und Aktionen mitentwickeln und umsetzen helfen wollen. Erste Aktion wird nun eine Kundgebung  am 28. März in München sein. Für diesen Tag hatten die „Besorgten Eltern“ eine Demonstration gegen die angebliche „Frühsexualisierung“ von Kindern in Kindergärten und Schulen angekündigt. Derzeit ist allerdings unklar, ob diese Demonstration stattfindet.

Demonstration der besorgten Eltern in Augsburg am 25.10.2014

Demonstration der besorgten Eltern in Augsburg am 25.10.2014

Die „Besorgten Eltern“ halten jede Aufklärung über nicht heteronorme Themen an Schulen für schädlich und rücken sie allgemein in den Dunst von Kindesmissbrauch. In einem Impulsvortrag wurde das rechtspopulistische Netzwerk aufgezeigt, in dem sie sich bewegen, und ihr fundamental-religiöser Hintergrund, der in der Embassy of God, einer evangelikalen Freikirche aus Kiew und deren Expansionsbestrebungen zu suchen ist.

Es entspann sich eine Diskussion darüber, ob diese Gruppe ernst zu nehmen sei und ob man ihnen überhaupt Aufmerksamkeit schenken solle. Mehrere beantworteten dies eindeutig mit Ja – die „Besorgten Eltern“ werden durchaus als Gefahr wahrgenommen. Die Vertreterin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wies darauf hin, dass die „Besorgten Eltern“ Methoden anwenden, denen sich die Erziehungswissenschaften so noch nie ausgesetzt gesehen hätten: Ausgebildetes Fachpersonal wird mit Falschaussagen verunglimpft und es wird zu Schulboykotten aufgerufen. Auch rechtlich gesehen handelten die „Besorgten Eltern“ damit gegen das Kindeswohl, da sie ihren Kindern so das grungesetzlich garantierte Recht auf Bildung entziehen. Sie gestand ein, dass die GEW derzeit noch keinen Weg gefunden habe, mit diesen Anwürfen und Methoden umzugehen.

Screenshot von afd-goslar.de (18.03.2015)

Screenshot von afd-goslar.de (18.03.2015)

In dieselbe Richtung ging ein Hinweis einer Vertreterin vom Aufklärungsprojekt München. Diese Inititaive wird von Schulen dazu eingeladen, in Klassen Bildungsveranstaltungen zu queeren Themen abzuhalten. Das Projekt ist dabei abhängig vom guten Willen der Schulleitung, der Lehrerschaft und vor allem auch des Elternbeirates. Die Arbeit wird erschwert, wenn sich Eltern gegen solche Aktionen aussprechen, weil sie beispielsweise durch Parolen der „Besorgten Eltern“ abgeschreckt wurden (die plakativen Sprüche, die Aufklärungsarbeit falsch darstellen und in den Zusammenhang von Kindesmissbrauch stellen, sind zu sehen in diesem YouTube-Video).

Als besonders problematisch wird das Potential gesehen, das die „Besorgten Eltern“ entfalten könnten. Sie mögen noch eine kleine Gruppe sein, dennoch bringen sie wieder sexistische, homo- und transphobe Anschauungen ins Gespräch, die inzwischen von der Politik, besonders AfD und Union, aufgenommen werden und den Diskurs zunehmend bestimmen unter Missachtung erziehungswissenschaftlicher Erkenntnisse. Die „Besorgten Eltern“ suchen auch dezidiert den Kontakt in die (Lokal-)Politik: So sprach auf ihrer ersten Demonstration in Augsburg Juri Heiser, Augsburger Stadtrat für die CSU und Träger der Bundesverdienstmedaille. Bei der Demonstration in Hamburg sprach der dortige CDU-Stadtrat Nikolaus Haufler.

Screenshot von afd-hannover.de (18.03.2015)

Screenshot von afd-hannover.de (18.03.2015)

Die „Besorgten Eltern“ sind damit ein Teil einer Palette von rückwärts gewandten Initiativen wie Demo für Alle, die in ihrer Gesamtheit ein mächtiges Moment erzeugen können, so dass ihre Themen Eingang in die Politik finden. Dadurch steht automatisch die Gefahr im Raum, dass ihre Forderungen tatsächlich umgesetzt werden und auch ein Rollback von bisher durch LGBT*IQ erreichten Rechten einleiten. Ein Vertreter von Quarteera erinnerte daran, wie schnell die homophobe Gesetzgebung in Russland umgesetzt wurde und ähnliche Inititaiven in der Ukraine und in Polen eingebracht wurden. Durch den zumeist russlanddeutschen Hintergrund der „Besorgten Eltern“ fänden russische Anschauungen zu queeren Themen Eingang in die deutsche Gesellschaft und könnten durchaus weiter wirken.

Vielfalt statt Einfalt möchte daher den Widerstand gegen diese reaktionären Bestrebungen auf breite Beine stellen und möglichst viele miteinander eng vernetzen, die sich für eine vielfältige und pluralistische Gesellschaft einsetzen – nicht nur, um auf die „Besorgten Eltern“ und ihresgleichen zu reagieren, sondern um proaktiv darauf hinzuwirken, dass die Akzeptanz von LGBT*IQ tiefer und dauerhaft auf allen Ebenen verankert wird. Die Kundgebung am 28. März soll dazu ein erster Schritt des Bündnisses in Bayern sein. Sie wird sattfinden unabhängig davon, ob die „Besorgten Eltern“ demonstrieren.

Vielfalt statt Einfalt jetzt auch in München

Vielfalt statt Einfalt München

Vielfalt statt Einfalt München

Im Februar 2015 hat sich in München ein bayerischer Ableger des Aktionsbündnisses Vielfalt statt Einfalt gegründet. Neben 12 anderen Organisationen sind auch die QUEERTREIBER unter den Gründungsmitgliedern. Das Münchner Bündnis stellt sich nun der Öffentlichkeit vor und lädt dafür zu einer Informationsveranstaltung am Dienstag, den 17. März 2015 um 19:30 in den Räumen der Münchner Aids-Hilfe ein.

Vielfalt statt Einfalt gründete sich 2014 in Niedersachsen, als dort die der AfD nahe stehende Initiative Familienschutz gegen Pläne der Landesregierung mobil machte, die Vielfalt von sexueller Orientierung und Geschlecht, Familien- und Rollenbildern in Bildungseinrichtungen zu thematisieren. Zwar ist im CSU-regierten Bayern nicht davon auszugehen, dass diese Themen einem Lehrplan demnächst auch nur nahe kommen könnten, trotzdem hat sich mit den Besorgten Eltern eine ähnlich gelagerte Initiative auch in Bayern in Stellung gebracht und ist seit dem letzten Jahr hier aktiv. Nach zwei Demonstrationen in Augsburg sind weitere Kundgebungen in München, Augsburg und Nürnberg geplant. Derartige Initiativen sehen durch bloße Aufklärung über queere Themen ihre Kinder, die Familie an sich und dadurch letztendlich den Fortbestand der Gesellschaft bedroht. Mit Schlagworten wie „Umerziehung“ oder „Sexualisierung“ halten sie den Irrglauben aufrecht, dass man Kinder zur Homosexualität erziehen könnte, und rücken Aufklärungsarbeit in die Nähe von Kindesmissbrauch. Sie versuchen Einfluss auf die Politik zu gewinnen u.a. mit dem Ziel, die Gleichstellung von LGBT*IQ zu begrenzen und nach Möglichkeit wieder umzukehren. Im täglichen Leben verstärken sie dadurch Homo- und Transfeindlichkeit und verwehren damit queeren Menschen an Schulen ein unbeschwertes Leben.

Vielfalt statt Einfalt setzt sich deshalb dafür ein, dass Kinder und Jugendliche in einem angstfreien Klima einen selbstbestimmten, verantwortlichen und gewaltfreien Umgang mit Sexualität und der eigenen Identität erlernen können. Sexualpädagogik leistet einen Beitrag dazu, Kinder und Jugendliche zu selbstbewussten Erwachsenen zu erziehen und unterstützt damit zum einen den Schutz vor sexuellem Missbrauch und zum anderen die Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten. Die ganze Vielfalt von sexueller Orientierung und Geschlecht, von Familien- und Rollenbildern soll letztendlich auch in Bayern selbstverständliches Querschnittsthema in allen Bildungseinrichtungen werden. Ignoranz, Angst und Vorurteile dürfen nicht das gesellschaftliche Klima bestimmen. Die Gründungsmitglieder des Bündnisses sind folgende Organisationen:

Aktionsbündnis gegen Homophobie e.V.
Aufklärungsprojekt München
Bundesarbeitsgemeinschaft Die Linke Queer
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) – Stadtverband München
HM Queer
Kontaktgruppe Munich Kiev Queer
Landesarbeitskreis Queer.Grün.Bayern
Münchner Aids Hilfe e. V.
Queer Campus
Queertreiber
rosa liste München
Schwule Lehrer Bayern
VivaTS München

Wer sich also für das Aktionsbündnis interessiert oder es unterstützen möchte, ist herzlich zur Veranstaltung am 17. März eingeladen.

Haben sich die Besorgten Eltern ausgesorgt?

Screenshot aus der Facebook-Gruppe Besorgte Eltern "gegen frühsexualisierung und Gender Ideologie" (14.02.2015)

Screenshot aus der Facebook-Gruppe Besorgte Eltern „gegen frühsexualisierung und Gender Ideologie“ (14.02.2015)

Die Besorgten Eltern hatten in Bayern viel vor: Nach einer zweiten Demonstration in Augsburg gegen die „Frühsexualisierung von Kindern“ an Schulen und Kindergärten am 17. Januar waren für 2015 bis zu fünf weitere in München, Augsburg und Nürnberg geplant. Doch am 13. Februar postete Wadim Renner, einer ihrer Hauptorganisatoren, in der Facebook-Gruppe Besorgte Eltern gegen „frühsexualisierung und Gender Ideologie“ folgendes: „Wegen Aggressivität unseren gegen Demonstranten, müssen wir leider alle Demo absagen. Danke für Verständnis. Mit freundlichen Grüßen. Besorgte Eltern“ [sic!]. Also keine Kundgebungen mehr oder vielleicht doch nur eine Finte?

Wadim Renner meint mit diesem Post die Besorgte Eltern-Demonstration in Hamburg am 24. Januar: Den etwa 150 Demonstranten stellten sich dort etwa 1.000 Gegendemonstranten entgegen; aufgerufen hatte dazu das Aktionsbündnis Vielfalt statt Einfalt. Leider eskalierte die Gegendemonstration – u.a. auf Seiten der Besorgten Eltern erlitt ein 15-jähriges Mädchen eine Platzwunde am Kopf und die Polizei setzte Schlagstöcke ein. Die Vorgänge sollen weiter untersucht werden, auch da die Hamburger CDU Strafanzeige gegen Unbekannt stellte (siehe dazu im Hamburger Abendblatt und bei der CDU Hamburg).

Screenshot von der Homepage der Besorgten Eltern (14.02.2015)

Screenshot von der Homepage der Besorgten Eltern (14.02.2015)

Die Eskalation wird von den Besorgten Eltern zum einen medial ausgeschlachtet (z.B. in diesem YouTube-Video) und zum anderen scheinen sie die Konsequenz gezogen zu haben, ihre Demonstrationen vorerst einzustellen, da sie die Sicherheit ihrer Teilnehmer nicht gewährleisten können. Doch sollte man sich auf diesen Facebook-Post nicht zu sehr verlassen. Denn im Gegensatz dazu lautet eine „wichtige Mitteilung“ bei den Terminen auf der Homepage der Besorgten Eltern: „Auf Grund aggressivem Verhalten von Gegendemonstraten können wir nicht mehr die Verantwortung für die Bekanntgabe der Demonstrationstermine tragen. Die genauen Termine erhalten Sie nur über einen persönlichen Kontakt zu den Besorgten Eltern. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte direkt an kontakt@besorgte-eltern.net!“ [sic!]

Es werden also wohl nicht die Demonstrationen selbst abgesagt, sondern es werden lediglich ihre Termine nicht mehr öffentlich und nur auf Anfrage bekannt gegeben. Das gibt den Besorgten Eltern deutlich mehr Spielraum für Überraschungsaktionen, denen dann – so hoffen sie wohl – nicht von organisierten Gegenaktionen widersprochen wird. Darüber, ob und wann die Besorgten Eltern tatsächlich Demonstrationen anmelden, werden sich ihre Gegner in Zukunft also bei den jeweiligen Stadtverwaltungen informieren müssen.

Sexuelle Vielfalt und so manche Sauerei

Queertreiber-Banner: "Besorgte Eltern, Ent-Sorgt Euch!"

Queertreiber-Banner: „Besorgte Eltern, Ent-Sorgt Euch!“

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Am 17. Januar 2015 hielten die Besorgten Eltern ihre zweite Kundgebung in Augsburg gegen die „Frühsexualisierung von Kindern“ ab. Angemeldet hatte die Veranstaltung wieder der Augsburger Verein Träume-Ziele-Taten (TZT), der sich für das Besorgte-Eltern-Netzwerk engagiert, für 200 erwartete Teilnehmer. Erschienen waren aber nur etwa 50 bis 80, weswegen sie ihren geplanten Umzug durch die Altstadt absagten und nur eine gut zweistündige Kundgebung auf dem Rathausplatz abhielten. Sie kündigten dabei für dieses Jahr fünf weitere in München, Nürnberg und vor allem Augsburg an (hier ihre Termine). Die Besorgten Eltern wehren sich dagegen, dass Kinder in Kindergarten und Schule durch Aufklärungsarbeit mit Sexualität, sexueller Vielfalt und alternativen Familienformen konfrontiert werden, da dies negative Folgen für die kindliche Entwicklung habe.

Gegen die Etablierung ihrer rückwärts gewandten Positionen an Schulen fand sich eine gut doppelt so große Anzahl an Gegendemonstranten ein. An politischen Parteien waren unter ihnen vertreten die Grünen mit den Landtagsabgeordneten Claudia Stamm und Christine Kamm, die SPD, die Linke und die Piraten; daneben eine größere Gruppe der Antifa, außerdem der LSVD, das Forum Augsburg, der Kreisjugendring, pro familia und aus München Mitglieder des Queer-Referates der LMU, vom MLC und die QUEERTREIBER (siehe auch queer.de).

Mathias Ebert, Gründer des Besorgte-Eltern-Netzwerkes, der bei ihrer ersten Augsburger Demonstration im Oktober 2014 noch federführend teilnahm, war dieses Mal nicht anwesend. Damals trat als Redner zudem der CSU-Stadtrat Juri Heiser auf und versprach Unterstützung auf Stadtebene (siehe hier). Dieses Mal sprach er allerdings nicht. Ein solcher Auftritt hätte hinsichtlich einer Positionierung der CSU Fragen aufgeworfen: In München hatte sich die CSU im Mai 2014 aktiv gegen die Besorgten Eltern anlässlich ihrer dort geplanten Demonstration engagiert, v.a. da die Besorgten Eltern von der Münchener Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) unterstützt wurden. Die BIA beteiligte sich im Oktober in Augsburg zwar nicht öffentlich, allerdings wurde im Publikum ihr Vorsitzender Roland Wuttke gesehen (siehe Augsburger Allgemeine). Welcher Art Juri Heisers Rolle bei den Besorgten Eltern und ihrem Netzwerk ist, wollen die Grünen im Stadtrat thematisieren (siehe Augsburger Allgemeine). Diese Frage könnte in Augsburg für Reibung zwischen den Koalitionspartnern sorgen; die Stadt wird regiert von CSU, SPD und Grünen.

Screenshot von einem Post vom 10.01.2015 auf Wadim Renners Facebook-Seite (Jan. 2015)

Screenshot von einem Post vom 10.01.2015 auf Wadim Renners Facebook-Seite (Jan. 2015)

Die Leiter der Kundgebung und Mitbegründer des Vereins TZT, Wadim Renner und seine Tochter Julija, beklagten bei der Veranstaltung, sie wären  im Vorfeld als Nazis verunglimpft worden. Bei den Besorgten Eltern handle es sich ihrer Darstellung nach um nichts anderes, als was ihr Name andeutet: Eltern, die auf ihrem grundgesetzlich garantierten Recht bestehen, über die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen, und zwar ohne dass Religion oder politische Richtung ihrer Organisatoren und Unterstützer eine Rolle spielten. Die bisherigen Verwicklungen mit der BIA sowie das „Expertennetzwerk„, das sie zur Untermauerung ihrer Argumente heranziehen, lassen aber den Schluss zu, dass ihr politischer Hintergrund doch nicht so neutral ist, wie sie andeuten. Einer von Wadim Renners Facebook-Posts, auf dem er ein Bild der Facebook-Gruppe „Besorgte Eltern für deutsche Werte“ teilt, hinterlässt ebenfalls einen leichten Beigeschmack.  Sie betonen auch, sie seien nicht homophob, doch kratzt man ein wenig an ihrer Oberfläche, erscheint dies als bloße Augenwischerei. Abgesehen von ihrem reaktionären Netzwerk widersprechen sie sich in diesem Punkt selbst, wenn sie sexuelle Vielfalt einer „Sauerei“ gleichstellen, wie sie es in ihrem auch in Augsburg mehrfach aufgeführten Song „Wir sind stark im Netzwerk“ tun (siehe hier).

Die Augsburger Grünen hatten versucht, ebenfalls auf dem Rathausplatz eine Gegendemonstration anzumelden, was von der Stadt aber nicht genehmigt worden war. Stattdessen konnten sie am Moritzplatz  einen Infostand für Vielfalt und Toleranz errichten. Dennoch hielten sich die Gegendemonstranten zumeist am Rathausplatz auf und wurden dort von den Besorgten Eltern durch eine Polizeikette getrennt. Es kam zu keinen Zwischenfällen, auf beiden Seiten lief alles friedlich ab. Die Gegendemonstranten versuchten, die Parolen der Besorgten Eltern („Sex mit sechs im Unterricht, das geht nicht“, „Aufklärung mit sieben, das ist übertrieben“) mit eigenen Sprechchören zu übertönen. Mit einem Standort direkt vor dem historischen Rathaus waren die Besorgten Eltern sehr prominent aufgestellt. Im Nachhinein schien dieses aber eher zu ihrem Nachteil zu sein, da sie auf dem recht weiten Rathausplatz doch etwas verloren wirkten.

Warum sich gegen die Besorgten Eltern engagieren?

Screenshot von einem YouTube-Video zu einer der Demos der Besorgten Eltern. Ganz links ihr Gründer Mathias Ebert (Jan. 2015)

Screenshot von einem YouTube-Video zu einer der Demos der Besorgten Eltern. Ganz links ihr Gründer Mathias Ebert (Jan. 2015)

Seit letztem Jahr versuchen die Besorgten Eltern in Bayern Fuß zu fassen. Ihr erster Versuch in München im Mai 2014 ist am Widerstand der Bevölkerung gescheitert (siehe München ist bunt). Allerdings entpuppt sich ihr darauf erfolgter Rückzug als ein rein strategischer. Derzeit agieren sie in Augsburg und haben dort bei ihrer ersten Demonstration im Oktober 2014 verkündet, Augsburg solle Ausgangsbasis für weitere Aktionen in Bayern sein (wir berichteten). Dies setzen sie konsequent in die Tat um: Ihre nächste Demonstration findet am 17. Januar statt und allein in Bayern folgen 2015 fünf weitere in München, Nürnberg und Augsburg (siehe ihre Demonstrationstermine).

Ihr Thema, mit dem sie ihre Demonstrationen anmelden, ist eine von ihnen in Bildungsplänen erkannte „Frühsexualisierung von Kindern“. Dieses Schlagwort unterstellt eine Manipulation der Entwicklung von Kindern und sogar systematischen, staatlich geförderten Kindesmissbrauch an Schulen und Kindergärten. Sie forcieren diesen Eindruck durch verzerrende Parolen bei ihren Demonstrationen (siehe dieses YouTube-Video), um Aufklärung generell zu diskreditieren. Nach Meinung der Besorgten Eltern beschädigt Aufklärung, auch über nicht-heterosexuelle Lebensweisen und Familienformen, die kindliche Psyche und führt zu psychischen Störungen. Ihre Unterstellungen greifen die Basis vom Selbstverständnis der queeren Community an.

Deswegen sind unsere Argumente:

1. Dass es uns LGBT*IQ gibt und dass wir so sind, wie wir sind, ist nicht schädlich – weder für unsere einzelnen Mitmenschen, noch für die Gesellschaft als Ganzes.

2. Die „Besorgten Eltern“ behaupten, dass es eine Verführung zu einer sexuellen Orientierung gäbe, Kinder also „schwul gemacht werden“ könnten. Dies ignoriert die wissenschaftlich gesicherte Tatsache, dass die Entwicklung der sexuellen Orientierung mit drei Jahren abgeschlossen ist und unterstellt uns eine tatsächliche Gefährdung des Kindeswohls. Mit dieser Behauptung wurde stets die Verfolgung von LGBT*IQ begründet.

3. Das Verschweigen queerer Themen verfestigt homo- und transphobes Klima und fördert Anfeindungen gegenüber LGBT*IQ – unter Schülern wie auch in der Gesamtgesellschaft. Denn Vorurteile werden so nicht frühzeitig bekämpft, sondern von Jugendlichen ins Erwachsenenalter mitgenommen.

4. Hinter den besorgten Eltern stehen reaktionäre Ideologien, die homo- und transfeindlich und sexistisch sind. Die Verbannung queerer Themen aus Schulen soll unsere Emanzipation, Gleichstellung und Akzeptanz aufhalten und schließlich rückgängig machen.

5. Kinder und Jugendliche, die feststellen, dass sie in ihrer Identität und Orientierung anders sind, werden mit ihrem Bewusstsein dessen allein gelassen. Wenn sie in ihrer nächsten Umgebung keine anderen Möglichkeiten haben, sich jemandem anzuvertrauen, leiden viele massiv unter ihrer Isolierung bis hin zu Selbstmordgedanken und leider zu oft erfolgreichen -versuchen.

Daneben gibt es zahlreiche weitere Punkte, von denen jeder für sich schon schwerwiegend ist. Zum einen das reaktionäre bis rechtspopulistische „Expertennetzwerk„, das sie pflegen. Zum anderen der fundamentalistisch-evangelikale, homo- und transphobe religiöse Hintergrund, aus dem die Organisatoren des Augsburger Ablegers, Wadim Renner und seine Tochter Julija, kommen. Zum Dritten, dass diese durch Juri Heiser, einen CSU-Stadtrat, Unterstützung aus der Politik erhalten (dazu die Nachforschungen von zwei Münchner Grünen). Dadurch ist ihre Aussage, sie seien nicht homophob und politisch und religiös neutral, nicht glaubwürdig. Darüber hinaus argumentieren sie nicht sachlich, sondern spielen durch Unterstellungen und teilweise Falschaussagen in manipulativer Weise mit den Ängsten der Menschen (s.o. und einer ihrer Flyer).

Wir sind bereit, uns den Besorgten Eltern in offener und öffentlicher Diskussion zu stellen. Es ist wichtig, ihre Positionen zu kennen und vor allem ernst zu nehmen. Ihre Agenda für Bayern und ganz Deutschland zeigt, sie wollen mit aller Macht ihre Ansichten in der Zivilgesellschaft verankern und ihnen mehr Gewicht verschaffen. Wir dürfen sie daher nicht ignorieren.

Besorgte Eltern in Augsburg am 17.1.2015: Fundamentalchristen im Hintergrund

Screenshot der Homepage der Embassy of God, Jan. 2015

Screenshot der Homepage der Embassy of God, Jan. 2015

Die Besorgten Eltern veranstalten am 17. Januar 2015 um 14:00 am Augsburger Rathausplatz ihre zweite Demo gegen „die Frühsexualisierung von Kindern“ in Bayern. Um ein Zeichen für Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit zu setzen, haben die Augsburger Grünen einen Infostand am Moritzplatz angemeldet. Die QUEERTREIBER werden ebenfalls vor Ort sein, um Flagge zu zeigen. Es sind alle eingeladen, sich anzuschließen.

Das Netzwerk der Besorgten Eltern wehrt sich gegen Sexualaufklärung von Kindern in Kindergärten und an Schulen. Ihrer Meinung nach hat eine „Konfrontation“ mit Sexualität in einem zu jungen Alter – dazu zählt für sie auch schon altersgerechte Aufklärung darüber, wie Kinder entstehen oder die bloße Information, dass es auch gleichgeschlechtliche Paare und Eltern gibt – schwerwiegende negative Folgen: nämlich geistige Verwirrung, Beziehungsunfähigkeit, diverse Perversionen und letztendlich die drohende Auflösung der Gesellschaft.

Sie bezeichnen sich zwar ausdrücklich als nicht homophob, doch setzt man sich etwas genauer mit ihren Positionen und vor allem ihren personellen Hintergründen auseinander, darf man diese Aussage als bloßes Feigenblatt bezeichnen. Seit ihrer letzten Demo in Augsburg im Oktober 2014 (wir berichteten) haben Kerstin Dehne und Werner Gaßner von den Münchner Grünen recherchiert, wer die Organisatoren vom Augsburger Ableger der Besorgten Eltern sind, und ihre Ergebnisse zuletzt am 8. Januar 2015 im Münchner Sub vorgestellt. Die treibenden Kräfte in Augsburg sind demnach Wadim Renner und seine Tochter Julija Renner. Sie sind Mitglieder der Embassy of God, einer Freikirche aus der Ukraine. Als evangelikale Glaubensgemeinschaft legt sie Wert auf die wortgetreue Auslegung der Bibel, einschließlich ihrer homofeindlichen Passagen. Konsequenterweise ging sie in Kiew aktiv gegen den CSD vor (siehe ihre Homepage). Bei Julija Renner geht ihre Mitgliedschaft aus einigen iher Facebook-Posts hervor. Wadim Renner wurde auf einer der Embassy-Seiten als „assistant Pastor“ in Berlin bezeichnet (siehe hier). Kerstin Dehne und Werner Gaßner konnten von mehreren weiteren personellen Verbindungen Renners ins Umfeld der Embassy berichten. Diese Glaubensgemeinschaft betreibt ihre Mission vor allem in Verbindung mit der Rehabilitation von Suchtkranken und Resozialisierung von Obdachlosen. Parallel dazu sucht sie gezielt die Nähe zur Politik, indem sie ihre Mitglieder in Parteien platziert (mehr in dieser 3sat-Produktion von 2014, ab min 24:30). Sie betreibt ein Netzwerk von Firmen und Vereinen, die nicht auf den ersten Blick der Embassy zugeordnet werden können.

Ähnliches scheint nun in Augsburg zu passieren. Laut des Portals RusDeutsch hat Wadim Renner bereits Vereine in Kassel und Berlin gegründet und setzt diese Aktivitäten nun in Augsburg fort. Er und seine Tochter Julija gründeten den Jugendverein Träume-Ziele-Taten (TZT), der die Augsburger Besorgte-Eltern-Demo im Oktober 2014 anmeldete und organisierte. TZT stellte sich dort als „normale Jugend mit gesunden Werten und gesunden Prinzipien“ dar, die Jugendlichen helfen wolle, ihren Platz im Leben zu finden. Eine organisatorische Basis in Augsburg besteht also bereits und auch der Kontakt in die Politik ist gegeben. Auf der letzten Demo war einer der Redner und Unterstützer Juri Heiser, Stadtrat der Augsburger CSU (hier die Liste der CSU-Räte). Abgesehen vom Kontakt in das höchste Gremium der Stadt bringt Juri Heiser auch Renommee mit, denn erst am 5. Dezember 2014 verlieh ihm Bundespräsident Joachim Gauck die Bundesverdienstmedaille für sein Engagement bei der Integration von Russlanddeutschen (siehe die Seite des Bundespräsialamtes). Interessant auch insofern, als sich die Münchner Stadratsfraktion der CSU öffentlich gegen die Besorgten Eltern engagiert hat (siehe hier), da sie in München von der NPD-nahen Bürgerinitiative Ausländerstop (BIA) unterstützt wurden.

Über inhaltliche Fragen zu Aufklärung an Schulen hinaus stellt sich also die Frage, ob hier nicht eine reaktionäre und fundamentalistische Glaubensgemeinschaft die Auseinandersetzung um deutsche Bildungspläne benutzt, um ihre Jüngerschaft in Bayern zu erweitern und hinter den Kulissen Einfluss auf Gesellschaft und Politik zu nehmen. Wadim Renner hat auf Facebook jedenfalls schon eine weitere Veranstaltung erstellt: Eine Besorgte-Eltern-Demonstration in Nürnberg im November 2015.

Update: Die Besorgten Eltern haben inzwischen zahlreiche weitere Termine veröffentlicht (Stand 14.01.2015). In Bayern am 28.3. in München, am 16.5. und 22.8. wieder in Augsburg und am 7.11. in Augsburg und Nürnberg (queer.de berichtete).

Stadtratshearing zu Stolpersteinen als Gedenkform an NS-Opfer

Die Stolpersteine, ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, haben sich seit Mitte der 1990er in etwa 1.150 europäischen Städten als mögliche Form des Gedenkens an die Opfer der Nationalsozialisten etabliert – im kommenden Jahr wird der 50.000. verlegt. In München ist dies kaum möglich, denn der Stadtrat verbot es 2004 ausdrücklich, Stolpersteine auf öffentlichem Grund zu verlegen. Der Rat hatte Schwierigkeiten mit der Gedenkform am Boden: Die Würde der Opfer sei in dieser Form nicht ausreichend gewährt und ihre Namen und ihr Gedenken würden wortwörtlich mit Füßen getreten. Die Stadtratsfraktion der Grünen und der Rosa Liste hat nun beantragt, sich wieder mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Auf ihren Antrag hin wurden Vertreter verschiedener Gruppierungen am 5. Dezember 2014 in das Alte Rathaus geladen, um den Stadtratsmitgliedern ihre Positionen darzulegen und Fragen der Stadträte zu beantworten (Hier die Vorlage des Stadtrates).

Zu den Verfolgten gehörten auch Homosexuelle. Schwule und Lesben mussten sehr lange darum kämpfen, beim Gedächtnis an die Opfer überhaupt Erwähnung zu finden. In München wird ihnen erst seit kurzem am Platz der Opfer des Nationalsozialismus gedacht (zur Inschrift siehe hier) und in wenigen Jahren auch am Oberanger (dazu die Rathaus-Umschau vom 20.11.2014, hier der Download), aber noch nicht namentlich den einzelnen Opfern. Das forum homosexualität münchen befürwortet daher die Stolpersteine als eine geeignete Form. Sein Vortsandsvorsitzender Albert Knoll sprach auf dem Hearing für die homosexuellen Opfer und war zudem im Oktober von den anderen nicht-jüdischen Opfergruppen (u.a. den politisch Verfolgten, der katholischen Kirche, den Behinderten, den Zeugen Jehovas, den Roma und Sinti) beauftragt worden, auch ihr Votum mitzuteilen. Alle diese unterstützen den Antrag der Grünen und der Rosa Liste, die Verlegung der Stolpersteine auf öffentlichem Grund zuzulassen unter gewissen Einschränkungen und Bedingungen:

1. Die Wünsche der Angehörigen haben Priorität. Sollten diese einen Stolperstein nicht wollen, darf für die jeweilige Person kein Stein verlegt werden.
2. Die Sprache der Täter darf auf dem Stolperstein keine Verwendung finden (z.B. „Gewohnheitsverbrecher“ oder „Rassenschande“).
3. Andere Gedenkorte und -formen müssen weiterhin möglich bleiben.
4. Die Stolpersteine sollen allen Opfergruppen als Möglichkeit zur Verfügung stehen.
5. Ergänzende und begleitende Maßnahmen zur Erläuterung sind nötig.
6. Der Akt der Verlegung soll in einer angemessenen Form stattfinden.

Diese Bedingungen, besonders die ersten beiden, reflektieren Argumente, welche von den Gegnern der Stolpersteine vorgebracht werden. Viele Überlebende der Verfolgung und ihre Familien empfinden diese Gedenkweise auf dem Boden so, als würde man ein zweites Mal auf den Opfern herumtrampeln. Daher ist davon auszugehen, dass viele der Ermordeten selbst das ähnlich empfinden würden. Da sie aber nicht mehr für sich sprechen können, möchte man ihren nächsten Verwandten die Entscheidung überlassen. Zudem waren in Hamburg Fälle bekannt geworden, in denen gerade das missachtet und in denen Tätersprache verwendet worden war, was als unerträgliche zweite Diffamierung empfunden wurde (dazu in der taz). Terry Swartzberg, der die Initiative Stolpersteine für München e.V. vertrat und Mitglied der liberalen jüdischen Gemeinde Münchens Beth Shalom ist, betonte mehrmals, dass man auf die Suche nach Angehörigen und deren Meinung höchsten Wert lege. Ein Nein der Verwandten werde respektiert und befolgt. Man wolle alles tun, solche Fehler, wie sie in Hamburg geschehen sind, auszuschließen.

In Bezug auf die Homosexuellen ging Albert Knoll darauf ein, dass es oft keine Angehörigen und Nachkommen gäbe, da Homosexuelle damals in der Regel keine eigenen Familien gründeten. Er sprach sich in solchen Fällen dafür aus, die jeweilige Opfergruppe die Entscheidung treffen zu lassen. Auf die Nachfrage eines Stadtratsmitgliedes, wie das in der Praxis aussehen könne, berichtete er von der alljährlichen Gedenkveranstaltung für homosexuelle NS-Opfer, an deren Anschluss auch immer zu einer Informationsveranstaltung eingeladen wird. Dort versucht man, Unterstützer zu gewinnen für eine Patenschaft oder für biographische Recherchen (dazu auch bei den QUEERTREIBERN).

Die Veranstaltung selbst dauerte etwa drei Stunden. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Münchner Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), lehnt die Stolpersteine aufgrund ihrer persönlichen Holocaust-Erfahrung ab und hatte sich daher im Vorfeld geweigert, beim Hearing zu sprechen (hier der Artikel auf sueddeutsche.de). Sie legte ihre Haltung aber nochmals schriftlich dar; ihr Schreiben wurde von Oberbürgermeister Dieter Reiter vorgelesen. Kurzfristig hatte die IKG zudem die Fotografin Gabriella Meros benannt, beim Hearing zu sprechen. Auch sie bezog Stellung gegen die Stolpersteine und ging besonders auf die Hamburger Fälle und Demnigs Verhalten in dieser Sache ein. Da sie aber ihre Redezeit überzog und deutlich länger als die anderen Redner sprach, kam es hier zu zahlreichen Zwischenrufen und die Moderatorin musste sie mehrmals aufforden, zum Ende zu kommen (zum Tumult auf sueddeutsche.de).

Weitere Vortragende beim Hearing waren Edgar Wolfrum vom Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Aspekte zur Erinnerungskultur an den Nationalsozialismus), Anke Silomon vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (Erfahrungen mit dem Projekt „Stolpersteine“ in Berlin), Terry Swartzberg von der Initiative Stolpersteine München e.V. (Argumente für die Zulassung von Stolpersteinen) und Ernst Grube von der Lagergemeinschaft Dachau e.V. (Votum der Lagergemeinschaft Dachau für die Zulassung von Stolpersteinen). Moderiert wurde das Hearing von Margit Ketterle von der Verlagsgruppe Droemer Knaur.

Das Hearing diente zur Information der Stadträte über das Thema. Es wurden keine Beschlüsse gefasst; zukünftige Schritte werden davon abhängen, ob eine Stadtratsfraktion das Thema im Rat weiter vorantreibt. Wer sich über Stolpersteine in München informieren oder sich dafür engagieren will, kann sich an das forum homosexualität münchen wenden oder auch an die Initiative Stolpersteine für München e.V.

CSU und Freie Wähler gegen Rehabilitierung der Opfer von §175

Am 13. November 2014 brachte die Landtagsfraktion der Grünen zwei Anträge in den Verfassungsauschuss des bayerischen Landtags ein. Erstens solle sich die bayerische Regierung auf Bundesebene für die Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 unter §175 Verurteilten einsetzen und zweitens für die historische Aufarbeitung in Bayern. Am Vorabend untermauerten die Grünen ihre Forderungen auf einer Demo, zu der etwa 60 Teilnehmer erschienen.  Der Antrag zur Rehabilitation wurde von der Mehrheit der Ausschussmitglieder von CSU und Freien Wählern abgelehnt, der Antrag bezüglich zur historischen Aufarbeitung dagegen wurde einstimmig angenommen.

§175 stellte homosexuelle Handlungen unter Strafe. Die Nazis verschärften das Gesetz so weit, dass auch Küsse und „begehrliche Blicke“ für eine Verurteilung ausreichten. Unter den Nazis wurden etwa 50.000 Homosexuelle verurteilt, von diesen kamen zwischen 10.000 und 15.000 in Konzentrationslager, ungefähr die Hälfte von ihnen wurde dort ermordet. 2002 wurden auch diese Verurteilten von der Politik als Opfer des Naziunrechtes anerkannt und rehabilitiert (hier das entsprechende Gesetz). Allerdings wurde nicht anerkannt, dass die beiden deutschen Staaten das Unrecht der Nazis nach 1945 weiter begingen mit zehntausenden Opfern (die DDR bis 1950/68, Westdeutschland bis 1969/94). Diese nach 1945 Verurteilten gelten nach wie vor als Straftäter und haben keinen Anspruch auf Entschädigung.

Der Landesarbeitskreis Queer.Grün.Bayern und die grüne Jugend Bayern hatten anlässlich der Anträge spontan zu einer Demo am Vorabend auf dem Gärtnerplatz aufgerufen, auf der auch Ulrike Grote, die grüne Vizepräsidentin des bayerischen Landtags sprach. Sie ging auf die Widersprüche in der Politik ein: Der Bundestag hatte selbst erklärt, dass die Menschenwürde der nach 1945 verfolgten verletzt worden war (S. 4 in diesem Dokument). Konsequenzen hatte das aber keine. Auch die europäische Menschenrechtskonvention, die (West-)Deutschland 1950 ratifizierte, wird ignoriert. Ihr Artikel 8 schützt das Privatleben und der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass davon ebenso Sexualleben, sexuelle Orientierung und sexuelle Identität abgedeckt werden (genaueres findet Ihr auf diesem Blog). Und auch dem Verlangen des Bundesrates von 2012 nach Rehabilitation (hier der Beschluss) kam der Bundestag nicht nach.

Ziel der Anträge der Grünen war es also, dass der Landtag die Landesregierung dazu auffordert, sich im Bund für eine Änderung der Politik einzusetzen und die Geschichte der Verfolgung in Bayern aufzuarbeiten (Links zu beiden Anträgen findet Ihr hier). Die Ausschussmitglieder von CSU und Freien Wählern lehnten es mit ihrer Mehrheit jedoch ab, dass sich der Ausschuss für eine Rehabilitation oder Wiedergutmachung einsetzt. Laut eines Berichts von Werner Gaßner vom LAK Queer.Grün.Bayern sei es Position der CSU, dass obwohl §175 ein Unrechtsparagraph war, dieser jedoch in West-und Ostdeutschland von souveränen Gesetzgebern übernommen und von der Rechtsprechung bestätigt worden sei. Eine Aufhebung verstoße somit gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Dieser Antrag wurde also abgelehnt.

Obwohl CSU und Freie Wähler anscheinend auch keine Notwendigkeit für weitere historische Aufarbeitung sahen, stimmte der Ausschuss diesem Antrag schließlich doch einstimmig zu. Der Ausschuss wird die bayerische Regierung dazu auffordern, über den derzeitigen Stand wissenschaftlicher Untersuchungen dieses Themas zu berichten. Auf Grundlage dessen soll über das weitere Vorgehen beraten werden (mehr dazu hier).

Auf der Demo am Gärtnerplatz ergänzten die Vertreter der grünen Jugend die Forderungen der Anträge um eine eigene: nur eine Änderung des Grundgesetzes könne einen dauerhaften Schutz vor Gesetzen wie §175 bieten. Daher müsse Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichheit vor dem Gesetz garantiert und Benachteiligung ausschließt, um das Kriterium der sexuellen Identität ergänzt werden (hier die Pressemitteilung). Dass die CSU und die bayerische Landesregierung sich dafür einsetzen könnten, ist allerdings wohl auch nicht zu erwarten.

In einer ersten Version des Artikels stand, beide Anträge seien abgelehnt worden. Das ist nicht richtig und wurde in dieser Fassung des Artikels korrigiert.