Die Redner auf der ersten Veranstaltung von Vielfalt statt Einfalt in München am 17. März 2015.
Vor kurzem gründete sich eine Münchener Gruppe des Akionsbündnisses Vielfalt statt Einfalt. Am 17. März 2015 stellte sie sich in den Räumen der Münchner Aids-Hilfe der Öffentlichkeit vor und berichtete gut 30 Zuhörer*innen von ihren Forderungen und von ihrer ersten geplanten Kundgebung, die am 28. März 2015 in München stattfinden wird. Genauer Ort und Zeit werden noch bekannt gegeben.
Im Publikum saßen wohl zum größten Teil solche, die mit dem Bündnis bereits assoziiert waren. Allerdings sind in der kurzen Zeit seit dem ersten Arbeitstreffen zu den ursprünglichen 13 Organisationen 16 weitere zivilgesellschaftliche hinzugekommen und fünf parteiliche – sowohl Parteiorganisationen als auch einzelne Abgeordnete aus Stadtrat, Landtag und Bundestag. Der aktuelle Anlass auch in München einen Zweig des Bündnisses zu gründen, sind zwar die in Bayern geplanten Aktivitäten der reaktionären „Besorgten Eltern„, dennoch hat es sich Vielfalt statt Einfalt vorgenommen, über bloße Reaktion hinaus eigene Initiativen zu entwickeln und sich langjährig für Gleichberechtigung und Vielfalt zu engagieren. Grundlegendes Thema ist dabei eine Reform der „Familien- und Sexualerziehung“ in den bayerischen Bildungsplänen.
Das Bündnis formuliert auch für Bayern folgende Forderungen:
– Neben der Ehe sollen auch andere Familien- und Partnerschaftsformen als gleichwertig thematisiert werden – ebenso wie Diversity fächerübergreifend im Unterrichtsmaterial Darstellung finden muss. In den meisten Klassen sitzen Schüler*innen, deren familiärer Hintergrund auf die eine oder andere Art nicht der „Hausfrauenehe“ entspricht. Zwar existiert diese rechtlich als solche nicht mehr, doch sind die bayerischen Bildungspläne von ihren Rollenbildern als der Norm noch massiv geprägt. Kinder mit anderem Hintergrund werden somit quasi als nicht vorgesehen ausgegrenzt.
– Homosexualität soll als gleichwertige Orientierung besprochen werden und nicht als problematischer Sonderfall.
– Geschlechtliche Vielfalt muss ebenso Thema und vor allem auch Teil der pädagogischen Ausbildung werden. Lehrkräfte müssen in der Lage sein, sich um Schüler*innen angemessen zu kümmern, die sich ihnen gegenüber beispielsweise als transident anvertrauen.
– Empowerment: Kinder und Jugendliche, die feststellen, dass sie LGBT*IQ sind und sich outen möchten, müssen von ihren Schulen Rückendeckung erfahren. Geoutete Schüler*innen, die souverän und positiv mit ihrer Orientierung und Identität umgehen, beeinflussen die Einstellung ihrer Mitschüler*innen gegenüber LGBT*IQ am meisten nachhaltig positiv. Schulen müssen diesen Prozess unterstützen.
– Durch eine Evaluation des Themas auf Landesebene soll eine systematische und belastbare Datengrundlage geschaffen werden.
– In den Schulen müssen kompetente Ansprechpartner*innen zur Verfügung stehen, wenn sich Schüler*innen als LGBT*IQ outen und sich deswegen beispielsweise Mobbing oder Problemen im Elternhaus ausgesetzt sehen.
Um diese Forderungen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene voranzubringen, werden nach wie vor Unterstützer*innen gesucht, die Initiativen und Aktionen mitentwickeln und umsetzen helfen wollen. Erste Aktion wird nun eine Kundgebung am 28. März in München sein. Für diesen Tag hatten die „Besorgten Eltern“ eine Demonstration gegen die angebliche „Frühsexualisierung“ von Kindern in Kindergärten und Schulen angekündigt. Derzeit ist allerdings unklar, ob diese Demonstration stattfindet.
Demonstration der besorgten Eltern in Augsburg am 25.10.2014
Die „Besorgten Eltern“ halten jede Aufklärung über nicht heteronorme Themen an Schulen für schädlich und rücken sie allgemein in den Dunst von Kindesmissbrauch. In einem Impulsvortrag wurde das rechtspopulistische Netzwerk aufgezeigt, in dem sie sich bewegen, und ihr fundamental-religiöser Hintergrund, der in der Embassy of God, einer evangelikalen Freikirche aus Kiew und deren Expansionsbestrebungen zu suchen ist.
Es entspann sich eine Diskussion darüber, ob diese Gruppe ernst zu nehmen sei und ob man ihnen überhaupt Aufmerksamkeit schenken solle. Mehrere beantworteten dies eindeutig mit Ja – die „Besorgten Eltern“ werden durchaus als Gefahr wahrgenommen. Die Vertreterin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wies darauf hin, dass die „Besorgten Eltern“ Methoden anwenden, denen sich die Erziehungswissenschaften so noch nie ausgesetzt gesehen hätten: Ausgebildetes Fachpersonal wird mit Falschaussagen verunglimpft und es wird zu Schulboykotten aufgerufen. Auch rechtlich gesehen handelten die „Besorgten Eltern“ damit gegen das Kindeswohl, da sie ihren Kindern so das grungesetzlich garantierte Recht auf Bildung entziehen. Sie gestand ein, dass die GEW derzeit noch keinen Weg gefunden habe, mit diesen Anwürfen und Methoden umzugehen.
Screenshot von afd-goslar.de (18.03.2015)
In dieselbe Richtung ging ein Hinweis einer Vertreterin vom Aufklärungsprojekt München. Diese Inititaive wird von Schulen dazu eingeladen, in Klassen Bildungsveranstaltungen zu queeren Themen abzuhalten. Das Projekt ist dabei abhängig vom guten Willen der Schulleitung, der Lehrerschaft und vor allem auch des Elternbeirates. Die Arbeit wird erschwert, wenn sich Eltern gegen solche Aktionen aussprechen, weil sie beispielsweise durch Parolen der „Besorgten Eltern“ abgeschreckt wurden (die plakativen Sprüche, die Aufklärungsarbeit falsch darstellen und in den Zusammenhang von Kindesmissbrauch stellen, sind zu sehen in diesem YouTube-Video).
Als besonders problematisch wird das Potential gesehen, das die „Besorgten Eltern“ entfalten könnten. Sie mögen noch eine kleine Gruppe sein, dennoch bringen sie wieder sexistische, homo- und transphobe Anschauungen ins Gespräch, die inzwischen von der Politik, besonders AfD und Union, aufgenommen werden und den Diskurs zunehmend bestimmen unter Missachtung erziehungswissenschaftlicher Erkenntnisse. Die „Besorgten Eltern“ suchen auch dezidiert den Kontakt in die (Lokal-)Politik: So sprach auf ihrer ersten Demonstration in Augsburg Juri Heiser, Augsburger Stadtrat für die CSU und Träger der Bundesverdienstmedaille. Bei der Demonstration in Hamburg sprach der dortige CDU-Stadtrat Nikolaus Haufler.
Screenshot von afd-hannover.de (18.03.2015)
Die „Besorgten Eltern“ sind damit ein Teil einer Palette von rückwärts gewandten Initiativen wie Demo für Alle, die in ihrer Gesamtheit ein mächtiges Moment erzeugen können, so dass ihre Themen Eingang in die Politik finden. Dadurch steht automatisch die Gefahr im Raum, dass ihre Forderungen tatsächlich umgesetzt werden und auch ein Rollback von bisher durch LGBT*IQ erreichten Rechten einleiten. Ein Vertreter von Quarteera erinnerte daran, wie schnell die homophobe Gesetzgebung in Russland umgesetzt wurde und ähnliche Inititaiven in der Ukraine und in Polen eingebracht wurden. Durch den zumeist russlanddeutschen Hintergrund der „Besorgten Eltern“ fänden russische Anschauungen zu queeren Themen Eingang in die deutsche Gesellschaft und könnten durchaus weiter wirken.
Vielfalt statt Einfalt möchte daher den Widerstand gegen diese reaktionären Bestrebungen auf breite Beine stellen und möglichst viele miteinander eng vernetzen, die sich für eine vielfältige und pluralistische Gesellschaft einsetzen – nicht nur, um auf die „Besorgten Eltern“ und ihresgleichen zu reagieren, sondern um proaktiv darauf hinzuwirken, dass die Akzeptanz von LGBT*IQ tiefer und dauerhaft auf allen Ebenen verankert wird. Die Kundgebung am 28. März soll dazu ein erster Schritt des Bündnisses in Bayern sein. Sie wird sattfinden unabhängig davon, ob die „Besorgten Eltern“ demonstrieren.
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